Folge 21 - Lagerbildung im Unternehmen

In dieser Folge widmen sich Tobi und Theo in kleiner Runde der Bildung von unsichtbaren Gräben und Lagern in Unternehmen. Dabei gehen sie Ursachen auf die Spur, beschreiben Situationen aus unserem Alltag und wie wir sie für uns lösen konnten.

Folge 21, in welcher Sebastian auch bereits auf Jobbezeichnungen eingegangen ist: https://anchor.fm/das-sandpapier/episodes/20---Taxonomie-des-Softwarearchitekten-ec8hr3

Folge 6, Prime Directive vs. Fingerpointing, hier haben wir darüber gesprochen, wie wir uns im Unternehmen gegenseitig offen und ohne Schuldzuweisungen begegnen können: https://anchor.fm/das-sandpapier/episodes/006---Prime-Directive-vs--Fingerpointing-e9ma65

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Das Sandpapier ist ein wöchentlicher Podcast der Sandstorm Media GmbH. Wir erzählen aus unserem Alltag, was wir versuchen, anders zu machen und welchen Herausforderungen und Experimenten wir uns auf unserem Weg stellen.

Die Folge zum Lesen

Theo
Hallo und herzlich willkommen moin moin zu einer neuen Ausgabe des Sandpapiers, unserem Weekly Podcast von Sandstorm, bei dem wir Themen, Herausforderungen und Experimente aus unserem Alltag als Softwareunternehmen besprechen. Heute habe ich bei mir den Tobias zu Gast. Hi Tobias.

Tobias
Hallo Theo, freut mich wieder mal dabei zu sein.

Theo
Freut mich auch. Und warum haben wir Tobias eingeladen? Tobias ist unser Senior Culture Developer and Chief Executive Communication Officer. Ja, das habe ich mir gerade erst ausgedacht. Und nein, er ist das nicht wirklich. Aber ich finde diese Namen sehr, sehr lustig. Und das hängt ganz klar mit unserem Thema zusammen. Es kann uns nämlich so ein bisschen gehen um unsichtbare Mauern im Unternehmen und Lagerbildung. Und ja, irgendwie so komische Konflikte, die nicht so richtig greifbar sind. Tobi, was meine ich denn? Was denkst du denn, was ich meine, wenn ich so von Mauern und Lagerbildung spreche?

Tobias
ja rhetorische Fragen oder so Gestilfragen. Ich versuche mich trotzdem mal dran. Wir hatten ja in der letzten Podcast-Folge zum Beispiel, du hattest ja gerade das schöne Beispiel gebracht, auch das Thema Jobtitel angeschnitten und wie wir da die Welt sehen zumindest, wie gesagt, angeschnitten und Dinge, die damit oft einhergehen, die man in Unternehmen und ich auch aus meiner eigenen Vergangenheit kenne, ist, na, die Entwickler, jetzt aus der Projektmanager-Sicht vielleicht gesprochen oder aus der Consultantsicht, die haben mal wieder das und das gemacht oder ach, ist ja klar, die anderen haben an das und das nicht gedacht und dann baue ich mir in meinem Kopf gerne so Schubladen zusammen, in die ich Gruppen einteile, so diese Lagerbildung im Kopf und das geht natürlich mit Jobtiteln ganz einfach, weil dann hat ja jemand schon so ein schönes Label bekommen und dann stopfe ich den halt einfach mit in diese Schublade und ein anderes schönes Ding ist, Meinungen zu einem Thema, ganz klassisch ja mal in der Politik, wo man ja auch von Lagern spricht, dann stelle ich die ins konservative Lager oder ich lege es ins linke Spektrum und dann haben wir so schön alle Schubladen im Kopf und können uns die Diskussion lebhaft vorstellen, die einfach nur aufgrund dieser Bezeichnung passieren.

Theo
Hast du für das Thema Meinung so aus dem Stehgreif irgendwie ein greifbares Beispiel, vielleicht aus unserem Alltag oder also irgendwie, dass man eine Vorstellung hat, wie dann daraus tatsächlich so eine Art Lager wird, weil unterschiedliche Meinungen sehe ich jetzt initial noch erstmal bei Einzelpersonen, wie passiert das denn um Unternehmen, in welchen Kontexten, dass da direkt sich Lager bilden? Hm.

Tobias
Ich habe zwei konkrete Beispiele im Kopf, die bei uns waren. Das eine ist, wir haben ja so ein Produkt, das kann ich auch schon im Podcast schon ein paar mal drüber gesprochen haben. Wir haben ja eine Datenanalyse-Software Exply und die entwickeln wir jetzt schon seit, oh ja, Jahren, viele Jahre. Und die Frage, die wir uns immer wieder stellen ist, ist das denn so erfolgreich, dass wir es weitermachen wollen oder sagen wir, hm, das ist nicht erfolgreich genug. Und da würde ich sagen, gibt es ganz klar Leute bei Sandstorm, die sagen, das ist erfolgreich und der Trend geht absolut in die richtige Richtung, lass uns das weitermachen. Und dann gibt es Leute, die sagen, hey, sehe ich absolut nicht so, ich würde sofort den Stecker ziehen, wenn ich das entscheiden könnte, sollte. Das ein so ein Beispiel und ein anderes Beispiel, wo ich denke, wo wir auch durchaus emotionale Diskussionen im Team hatten, war das Thema, bis vor einer ganzen Weile war unser Fokus der Softwareentwicklung sehr objektorientiert getrieben in der PHP- und Java-Welt. Und durch neue Zugänge im Team, über die wir uns natürlich sehr gefreut haben, wurde da unser Weltbild gewaltet und der Wunsch herangetragen, hey, lass uns doch viel stärker mal in dieser ganzen funktionalen Ecke unterwegs sein. Da haben wir jetzt auch schon die eine oder andere Erwähnung im Podcast gehabt und auch die Folge zur Einführung. Und da gab es häufig Diskussionen, ist die funktionale Sicht auf die Welt, ist die denn besser oder schlechter oder gewollt oder nicht gewollt oder wie machen wir denn jetzt Projekte und darf da Alquise gemacht werden. Da hatte ich so das Gefühl, hey, da haben sich Lager gebildet, weil ich die gesagt habe, naja, wir wissen ja, wie es bisher gelaufen ist und das hat gut funktioniert und da haben wir Projekte ranbekommen und warum müssen wir daran jetzt was ändern und andere wie gesagt haben, naja, die andere Welt, die ist doch so viel cooler, ich will da was machen, das fühlt sich für mich viel besser an. Und da sind tatsächlich auch durchaus Konflikte daraus entstanden, emotionaler Natur, wo dann die eine Seite das Gefühl hatte, sie wird von der anderen nicht ernst genommen oder ihre Argumente werden so weggewischt und das waren unangenehme Diskussionen tatsächlich.

Theo
Aber letztendlich glaube ich, gerade diese funktionale Diskussion, funktionale Programmierung versus Objektorientierung, nach meinem Gefühl, war sehr, sehr fruchtbar in der Hinsicht, dass wir, glaube ich, jetzt eine sehr angenehme Bandbreite haben und die Diskussion gar nicht mehr so stark über diese Lager geht, sondern viel, viel fokussierter auf klare technische Probleme ist. Das finde ich persönlich ziemlich angenehm.

Tobias
Da ist in meiner Wahrnehmung, die ja eine ganz untechnische ist, was total Spannendes passiert. Ich glaube, ganz am Anfang, als diese Diskussionen so aufgekommen sind, sich abzeichnete, hey, es gibt Leute, die finden diese funktionale Welt viel, viel logischer und eingänglicher und vielleicht sogar besser als die objektorientierte Welt. Und wenn man mit solchen absoluten Meinungen konfrontiert ist, dann passiert es schnell, dass man sagt, ich nehme jetzt mal den Gegenstandpunkt ein. Nee, das sehe ich absolut nicht so, um mal zu gucken, wie der andere vielleicht darauf reagiert. Und das Potenzial, dass da draußen Konflikt entsteht, der bewusst oder unbewusst angeschürt wird durch ironische Kommentare, durch bewusstes Falschverstehen und überspitzen von Aussagen, die ist extrem hoch und das hat bei uns auch gut funktioniert bis hin zu dem Punkt, dass wir gesagt haben, stopp, wir merken, was hier los ist. Hier haben sich gefühlt Lager gebildet, die sich intern ziemlich einig sind und sagen, wir wissen ganz genau, warum wir die objektorientierte Welt bisher gemacht haben und wir wissen ganz genau auf der anderen Seite, warum wir funktionale Programmierung für den moderneren, besseren, richtigeren, was auch immer Ansatz halten. Und dann spricht man miteinander im Lager über die anderen und stellt die ganze Zeit Annahmen an, wie die die Welt sehen. Und das hat sich, glaube ich, erst aufgelöst, als wir tatsächlich in der großen Runde uns hingesetzt haben und gesagt haben, hey, jetzt mal alles auf den Tisch, was wir zu dem Thema sagen wollen. Wo kommt denn die ursprüngliche Diskussion her? Was ist denn hier los? Worin entzündet sich denn sozusagen dieser Konflikt, der sich in so einer Lagerbildung dann manifestiert? Also ich habe ganz konkret die Situation im Kopf, als wir im Retreat an der Ostsee waren. Da haben wir die Diskussion und für mich kam dann in der Diskussion raus, also wir haben zum ersten Mal offen darüber gesprochen, dass wir das Gefühl haben, dass es diese Lager gibt und dann haben verschiedene Seiten gesagt, dass das überhaupt nie das Ziel ist. Also wir haben es dadurch aufgelöst, dass wir diese Grundannahmen, die wir über die jeweils andere Gruppe einfach mal ausgesprochen haben und ihr dann zugehört haben und sie ausreden haben lassen, wie sie die Welt tatsächlich sehen. Und ich glaube, das ist etwas, was sonst selten passiert, gerade wenn man in so Lager, in so unterschiedlichen Sichten auf die Welt unterwegs ist, wo man, wir Menschen neigen ja dazu, aber jetzt komme ich doch ins Philosophie, war meine Anmoderation von vorn vielleicht auch nicht so falsch. Ich glaube, wir Menschen neigen dazu, uns die Welt einfacher zu machen. Wir müssen die ganze Zeit vereinfachen, die ist einfach komplex da draußen. Und solche Schubladen, ob das jetzt Jobtitel sind oder hey, das sind die funktionale Programmierung, Fanboys sind und Girls, das macht es einfacher für den Kopf, für die Kommunikation. Dann packe ich die halt in diese Schublade und dann gebe ich denen verschiedene Eigenschaften, Attribute und ich sage, die müssen ja PHP blöd finden, weil PHP eine objektorientierte Programmiersprache ist. Und wenn ich nicht mit denen rede, dann verselbstständigen sich diese ganzen Gedanken. Wie nennt man das? Gedankenzug, der Thought Train, der tuckert dann so schön los. Ja, dann kannst du ganz komisch schrecklichen Verhärtungen der Fronten kommen, wenn ich nicht mal tatsächlich mit den Leuten rede. Wie hast du das wahrgenommen, dieses Gespräch an der Aussee?

Theo
Also ich kann mich entsinnen, dass das relativ intensiv war, in meiner Erinnerung war tatsächlich dieser Funktional versus OOP, glaube ich, nur ein Aspekt, das hat auch so ein bisschen reingespielt mit dem, was wir, glaube ich, vorhin schon mal ganz kurz angedeutet hatten und worüber Sebastian auch in der vergangenen Folge zu Softwarearchitekten schon mal kurz gesprochen hat. Dieses Thema Sebastian war CTO, also Chief Technical Officer und dementsprechend nach der Wahrnehmung einiger von uns, mich eingeschlossen, so ein bisschen die Person, die letztendlich so immer das letzte Wort hat bei Technologieentscheidungen und das hat so ein bisschen dazu geführt, dass wir das Gefühl hatten, zum Teil sozusagen unsere Sicht auf die Welt gar nicht so richtig mit einbringen zu können, oder dass wir da an bestimmten Situationen überbügelt worden wären. Das war so die Ausgangssituation, mit der wir, glaube ich, damals in das Gespräch reingegangen sind. Genau, das war ein relativ intensives Gespräch. Ich muss gestehen, die Details sind bei mir schon so ein bisschen verwaschen inzwischen, aber ich weiß, dass wir das dann aufgelöst hatten und das für mich so ein richtiges Aufatmen war, weil ich das Gefühl hatte, dass da ganz viel Missverständnis im Spiel war und glaube ich, dass für Sebastian auch hilfreich war, weil er diese Wahrnehmung so natürlich sonst selten gespiegelt bekommen hat und das hat letztendlich dann aber dazu geführt, dass ich das Gefühl habe, hey, wir haben total viel Freiheit in der Wahl unserer Technologien und wir können da drüber reden und reden da drüber und inzwischen sind die Diskussionen da nach meinem Gefühl aber auch viel, viel, viel offener und verlaufen ganz anders als zu dem Zeitpunkt noch, also so von beiden Seiten und das ist für mich so das beste Outcome, was ich mir zu dem Zeitpunkt hätte vorstellen können. Genau.

Tobias
Ja, und was wir tatsächlich gemacht haben, ist, wir haben diese ganzen Annahmen, die zum Beispiel ja in einem Jobtitel drinstecken. Also, wer ist wofür verantwortlich, wer hat worüber das Sagen, wer darf welche Entscheidung treffen und wer nicht. Die haben wir mal auf den Tisch gelegt, also diese impliziten Annahmen, die man hat. Die haben wir explizit angesprochen, gesagt, hey, was ist nicht, du wurdest mir vorgestellt als jemand mit einem Jobtitel. Beispielsweise als der CTO von Sandstorm und damit habe ich etwas assoziiert, nämlich dass Entscheidungen oder sonst irgendwas durch dich getroffen werden oder abzusegnen sind. Und einfach dadurch, dass das mal ausgesprochen wurde, konnte in dem Fall Sebastian sagen, hey, mir geht es überhaupt nie um hier diesen Jobtitel, sondern worum geht es ihm denn eigentlich. Und diese Erklärung dann mal wirklich anzuhören und zu sagen, okay, jetzt höre ich mal empathisch zu, ich versetze mich mal in die Lage des anderen hinein und lasse ihn ausreden und baue seine Antwort in mein Weltbild ein, um ihn besser zu verstehen. Das hat, glaube ich, das war ein ganz wichtiger Baustein im Wiederzusammenfügen dieser gefühlten Lager.

Theo
Ich glaube, ein wichtiger Aspekt dabei war auch, dass wir im Vergleich zu Gesprächen, die in irgendeine ähnliche Richtung davor gingen, uns zum Retreat auch bewusst sehr viel Zeit dafür genommen haben. Also ich glaube, um dem Ganzen diesen Raum zu geben, muss man auch von vornherein sich bewusst sein, dass das unter Umständen dauern kann. Und auch da gilt natürlich wieder, dass man sich sehr seiner Sprache bewusst sein muss, ich Botschaften etc. Und das alles, was wir sonst auch schon tun, hat da, glaube ich, einen ganz, ganz großen Anteil gehabt. Ich war also da auch nochmal auf die Folge 6 des Sandpapiers, wo wir so ein bisschen Fingerpointing und Prime Directive besprochen haben. Also ich glaube, das war ein ganz wichtiger Bestandteil dafür, dass die Diskussion fruchtbar war und dass einige Diskussionen ähnlicher Natur davor nicht funktioniert haben, war oft auch einfach einem gewissen Zeitmangel geschuldet, hatte ich das Gefühl. Also dass wir so ein bisschen zwischen Tür und Angel über diese Themen geredet haben und dann eben mit verhärteten Fronten von vornherein. Genau. Sì.

Tobias
sehe ich absolut auch so. Das ist so diese ganz schwierige Situation. Man merkt, da ist irgendwie ein Problem und man müsste sich eigentlich Zeit dafür nehmen, weil aber so viel los ist, hat man gefühlt die Zeit nicht. Genau. Und du hast es von uns auch schon so angedeutet aus dieser einen Diskussion, wo wir auf dem Retreat waren. Das heißt, wir waren als Team E vom Kopf her bei, wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen, um bestimmte Dinge durchzusprechen, weil jetzt sitzen wir alle zusammen und in der Situation, was dann eigentlich in Elternzeit war und der war ja gar nicht physisch da, wir haben ihn dazugeholt, also er hat sich die Zeit sozusagen auch zu Hause genommen für uns alle, um an dieser Diskussion teilzunehmen und das Ergebnis, was da rausgekommen ist, dadurch, dass wir uns die Zeit genommen haben. Ich glaube, das haben wir in der Functional Programming Einführungsfolge ja auch schon mal erwähnt. Ganz viele Konzepte, die da drinstecken, also sozusagen die Details, an denen sich so eine Diskussion überhaupt entzünden kann, ganz viel von dem Denken ist heute in unserer Art, wie wir an Projekte rangehen, auch wenn sie primär objektorientiert vielleicht sind oder mit einer objektorientierten Sprache gemacht werden, eingeflossen. Das heißt, diese gegenseitige Befruchtung, die aus dem ursprünglichen Widerspruch entstanden ist und zu einer Situation geführt hat, die, wo eins plus eins eben nicht nur zwei ist, sondern mehr als die Summe seiner Teile, das hat Kraft gekostet, das hat Zeit gekostet, aber es war es absolut wert.

Theo
Ja, bin ich absolut bei dir. Wir hatten gerade eben schon mal ganz kurz so in einem Nebensatz das Stichwort Hierarchien. Und wir hatten auch im Vorgespräch zum Podcast ganz kurz schon darüber geredet, dass wir auch da durchaus das Potential natürlich von Lagerbildung machen. Magst du vielleicht dazu noch zwei, drei Worte sagen?

Tobias
Also ich kenne es aus meiner persönlichen Erfahrung, dass Hierarchie oder auch das Thema Jobtitel, was ja oft damit einhergeht. Ich bin vielleicht ein Junior Softwareentwicklerin oder Senior Softwareentwicklerin oder Architekt oder sowas. Damit, wenn ich diese Begriffe einfach nur verwende, habe ich sofort Schubladen im Kopf, die auf und zu gehen. Und wenn ich mir ein typisches Projekt angucke, da sind ja verschiedene Leute involviert. Da ist vielleicht eine Projektmanagerin involviert oder dann sind Frontendentwicklung und Design und Backend. Jetzt habe ich diese beiden Aspekte. Ich möchte jetzt gerade mal zwei Sachen, aber das Hierarchie-Thema spielt damit rein. Also ich habe sozusagen die Schubladen durch die Jobtitel, dass ich sage, hey guck mal, die Designer haben hier wieder was gemalt, was sich überhaupt nicht umsetzen lässt, also die anderen und die Backendler haben hier wieder was gebaut. Ja, das Datenmodell passt überhaupt nicht zu dem, was wir im Frontend brauchen. Was haben die sich denn wieder gedacht? Dann mache ich solche absolut unzulässigen Verallgemeinerungen. Und in der Hierarchie passiert natürlich das Gleiche durch die Schublade, die ich im Kopf aufmache, wenn ich sage, ah, der Projektmanager oder die Chefin, stecke ich die in eine Kiste und ich schneide ganz viel ab, was eigentlich zu der Person gehört. Und dann treffe ich Annahmen über den ganzen Rest, die vielleicht durch die Schublade ausgefüllt werden. Also die Chefin kriegt irgendwelche Eigenschaften angedichtet, die sie vielleicht gar nicht hat. Aber die verbinde ich nun mal aus meiner persönlichen Erfahrung mit einem Chef oder einer Chefin. Und dann kann es passieren, gerade in der Hierarchie, dass ich mich mit Leuten auf meiner Ebene, also vielleicht mit den anderen Entwicklern und Entwicklerinnen, unterhalte. Und dann zementiert sich das Bild, weil die anderen sagen das ja auch, ohne dass mal irgendjemand mit einer anderen Hierarchie gesprochen hat, also vielleicht mit dem Chef oder der Chefin. Und schön, wenn das Ganze dann noch über sozusagen Abteilungsgrenzen hinweggeht, dann redet man über ganz andere, der Chef von den Backendlern oder so. Und dann habe ich so ein ganz tolles, vorgefertigtes Bild im Kopf, mit dem ich in jede Unterhaltung mit der Gruppe oder der Person gehe. Und ich glaube, das kann zu ganz, ganz vielen vermeidbaren Missverständnissen führen.

Theo
Absolut. Ich finde, ich glaube, ein zusätzlicher Aspekt, der da auch noch mit ist, ich glaube, in dem Moment, wo man in diesen Lagern anfängt zu denken, also wir sind die Frontendler, ihr seid die Backendler, verliert sich sehr stark so dieses Interdisziplinäre, was Softwareentwicklung ja eigentlich ganz schnell zwangsläufig mit sich bringt. Also irgendwie müssen ja alle Hand in Hand arbeiten und dem Moment, wo ich aber sozusagen nur bis zu meiner eigenen Haustür gehe, verstehe ich zum Teil oder kann es passieren, dass man zum Teil gar nicht mehr die Komplexität dessen versteht, was man eigentlich baut und das auch ganz viel kommunikativ verloren geht. Also im Sinne von, wenn ich als Backendler jetzt eine Schnittstelle bauen soll für das Frontend und aber mit den Frontendlern irgendwie immer nur so in zwei Sätzen rede und die Frontendler bauen dann auch irgendwas und dann arbeitet man so nebeneinander her und am Ende stellt man fest, irgendwie passen unsere Puzzleteile gar nicht zusammen. Also ich glaube, da besteht also auch einfach die Gefahr durch die Lagerbildung, die Kommunikation dann so ein bisschen einschläft und dass man zum Teil einfach nicht mehr das große Ganze betrachtet, sondern immer nur so seinen kleinen Haufen, den man da baut sozusagen für sich isoliert betrachtet und sagt, ich kippe das über die Mauer und der Rest, den macht dann irgendjemand anders. Und das kann...

Tobias
noch schlimmer werden, wenn ich sage, ich treffe Annahmen darüber, wie die anderen etwas, was ich entwickeln brauche. Also, wenn ich als Backendler sage, die Frontendler, die brauchen das, die brauchen das immer so als Allgemeinerung. Und dann baue ich denen die Schnittstelle halt genau auf diese Art und Weise. Dann kriegen die das, gucken sie sich das an und denken, oh Gott, die Backendler haben ja wieder was gebastelt. Die haben überhaupt keine Ahnung. Aber mit denen reden, um Gottes Willen, also, die denken sowieso immer, die sind die Besten, weil sie Datenbank-Reviews schreiben können, oder was? Und die lassen sich von mir sowieso nichts sagen. Und im Zweifelsfall muss dann eine Gruppe um das Ergebnis der anderen drum herum bauen, wenn die aber mal miteinander gesprochen hätten, dann hätten die vielleicht gemerkt, oh, guck mal, die wollen das eigentlich ganz anders haben, ist ja für uns auch viel einfacher. Der Gesamtaufwand sinkt ja, einfach nur weil wir mal eine halbe Stunde unvoreingenommen miteinander geredet haben.

Theo
Ja. Ein Aspekt, der mir gerade noch durch den Kopf ging, weil ich dann auch im Bekanntenkreis immer mal wieder höre, ist auch tatsächlich, dass durch diese extreme Spezialisierung, dieses ich mache jetzt nur noch Java Backend, dies, das, jenes, oder ich mache eben nur noch Frontend, dass da auch oft irgendwie so ein Missverständnis entsteht, was die Komplexität des, der ausübende Tätigkeit der jeweils anderen Personen sozusagen betrifft, irgendwie total, also das einfach total falsch eingeschätzt wird, ne, also da kommen dann so Dinge wie ja, Frontend ist ja einfach und das ist ja nur ein bisschen HTML und CSS so nach dem Motto und man bewegt sich so von so einer gegenseitigen Wertschätzung einfach weg, weil man gar kein Verständnis davon hat, was die anderen eigentlich tatsächlich jeden Tag machen und das beide so in jetzt im ganz konkreten Fall sowohl Backend als auch Frontend durchaus sehr komplex sein können, wird dann ganz schnell eben einfach übersehen und ich glaube auch das ist gefährlich, weil man so ein Gefühl von ich bin was Besseres bekommt, so ich bin ja Backend-Entwickler oder Frontend-Entwicklerin und deswegen ist das, was ich hier mache, viel, viel wichtiger als das, was die anderen da auf der anderen Seite der Mauer irgendwie machen. Vielen Dank für's Zuhören, bis zum nächsten Mal, tschüss, tschüss.

Tobias
Ich glaube, das ist ein ganz normaler Bias, ein ganz normales Vorurteil, was man hat. Das, was ich mache, ist ja kompliziert. Und das, was ich von dem anderen wahrnehme, das Ergebnis sieht ja ganz einfach aus. Das Design, was er hier gemalt hat, das hat er halt mal so hingepinselt. Das, was wir auch in der letzten Folge über die Softwarearchitektur hatten und was du jetzt auch schon öfter angesprochen hast, dieser ganzheitliche Blick. Was ist denn eigentlich das Problem, was ich versuche zu lösen und welche Komponenten haben, hat das und hat die Lösung und wie interagieren die miteinander und welche Abhängigkeiten und so weiter haben die? Das ist ja eine absolut wichtige Fähigkeit, die durch die Lagerbildung, die du auch beschrieben hast, die verloren oder verschüttet werden kann. Und dann im Endeffekt zu Konflikten, schwieriger Kommunikation, versteckten Kosten führt, die vielleicht vermeidbar wären. Dadurch, dass ich mich auch selber in eine Schublade stecke, vereinfache ich auch meine meine Sicht auf die Welt. Und wenn ich mich sozusagen mit dieser Situation anfreunde und das wird zu meiner Komfortzone, dann muss ich ja ganz schön Energie aufwenden, um da eine Änderung meines Weltbildes wieder zuzulassen. Stichwort dieses Gespräch, was wir bei uns intern angesprochen hatten mit dem Retreat, also das braucht dann halt Zeit und das richtige Mindset, das ich dem anderen auch zuhöre.

Theo
Jetzt haben wir ganz viel darüber gesprochen, warum Lagerbildung und diese Mauern im Kopf irgendwie nicht gut sind aus unserer Sicht. Wir haben auch schon so ein bisschen angedeutet, was einige Lösungen bei uns intern sind. Natürlich ganz, ganz viel Kommunikation. Dann darüber hinaus ist bei uns vielleicht auch noch so, dass wir generell tendenziell etwas interdisziplinärer aufgestellt sind, indem wir von vornherein gar nicht sagen, jemand ist bei uns einfach nur Backendler, dies, das, jenes, sondern jeder kann sich so ein bisschen nach seiner Fasson, sage ich mal, das gestalten, was er gerne arbeiten möchte. Tobi, haben wir für die Zuhörerinnen und Zuhörer irgendwie ein paar Tipps? Gerade in größeren Unternehmen ist es ja wahrscheinlich gar nicht so einfach, diese Denkstrukturen so ohne Weiteres aufzubrechen. Ein paar gute Ideen, die wir mitgeben können.

Tobias
Theo, ob die Ideen gut sind, die Beurteilung überlasse ich mal den anderen. Ganz spontan würde ich sagen, was super effektiv ist, ist das direkte persönliche Gespräch wahrscheinlich mit einer anderen Person. In Corona-Zeiten vielleicht ist das aktuell nicht so leicht möglich, aber dann nehme ich vielleicht mal den Telefonhörer oder das Videochat-Programm in die Hand und rede mal. Also wenn ich, was weiß ich, ich bin Frontendler und schlage wieder mal die Hände über dem Kopf zusammen, was denn das Backend-Team da produziert hat, dann rufe ich den mal an und sage, hey, ich habe gerade deine Zuarbeit hier bekommen und ich möchte mal mit dir darüber sprechen, wie ich jetzt damit weitermache. Ich möchte dir helfen, mich zu verstehen oder noch weiter. Hey, erklär mir mal unter welchen Annahmen über mich als Frontendler oder meine Tätigkeit als Frontendler du das gebaut hast. Wenn wir das so rum machen, dann sind wir bei Habit 5 der 7 Habits. Seek first to understand, then to be understood. Also erst versuchen sozusagen den anderen zu verstehen, um dann selbst verstanden zu werden. Das ist dann schon die ganz hohe Kunst der Kommunikation.

Theo
Ja, aber ich glaube generell, dabei ist es natürlich auch super wichtig, du sagst schon in einer Situation, wo man die Hände über den Kopf zusammenschlägt, dass man auch da davor glaube ich erst mal ganz kurz in sich geht, bevor man so ein Gespräch sucht und nicht mit einem Mindset reingeht, so jetzt geige ich dieser Person aber mal meine Meinung, sondern das ist eben Stichwort empathische Kommunikation, dass es eine Kommunikation ist, bei der man tatsächlich auf ein positives Ziel aus ist und nicht einfach nur darauf aus ist, Dampf abzulassen.

Tobias
Annahmen explizit machen. Ich habe die Annahme, dass das so und so ist. Auf diesen Bausteinen baut mein Weltbild auf. Manchmal wird man feststellen, dass die andere Person sagt, ne Moment, warte mal, das ist nicht so. Das sind super Anknüpfungspunkte, um sozusagen gemeinsam aus der Situation zu lernen.

Theo
Jetzt haben wir ganz viel über die negativen Seiten, ein kleines bisschen über die Lösungen gesprochen von Lagerbildung im Unternehmen. Wir hatten vorhin auch ganz viel auf Job-Cheatle rumgehackt und ich habe mich ja direkt in der Anmoderation so ein kleines bisschen drüber lustig gemacht. Tome, gibt es aus deiner Sicht denn auch gute Gründe für diese komplizierten Job-Bezeichnungen? Also gibt es irgendetwas, warum die vielleicht doch ganz gut sein können in bestimmten Situationen?

Tobias
Ich würde mal ganz einfach sagen, muss ja, dass es mal so viel gemacht wird. Diese Vereinfachung, die wir damit anstreben, hat ja den Grund, zumindest nach meinem Verständnis, dass ich mit ganz wenig Informationen jemanden in eine bestimmte Richtung einordnen kann. Wenn jemand zu mir sagt, er oder sie ist Projektmanagerin, dann verbinde ich damit was, nämlich auch eine Art und Weise, wie ich mit der Person kommuniziere. Das ist anders, als wenn ich, wenn sich mir jemand vorstellt und er sagt, er ist Softwarearchitekt oder Er ist Entwickler, er ist Operationsmanager oder sonst irgendwas. Das heißt, ich kann schon mal grob eine Einordnung vornehmen, ohne dass die Person sich eine halbe Stunde lang mir vorstellen muss mit allen Facetten ihrer Persönlichkeit. Das hilft und das ist natürlich auch viel leichter abzuspeichern im Kopf, wenn ich sage, der Theo, der ist Softwareentwickler. Das kann ich mir merken, wenn ich mir merken muss, der Theo ist und das sind alles die komplexen Facetten seiner tiefen Persönlichkeit, dann platzt vielleicht irgendwann mein Kopf. Wer möchte das aufwischen? Ja, das ist eine Grundstrategie, glaube ich, unseres menschlichen Gehirns, die ganz komplexe Vorgänge ganz einfach abzuspeichern und Muster abzuspeichern, die wir auch wieder erkennen können. Projektmanager steht da, Check, Muster erkannt, stecke ich da rein und dieses Fast-Thinking ist ganz wichtig, damit wir nicht überlastet werden und der wirklich schwierige Skill ist, in den richtigen Momenten vom schnellen Denken, vom Fast-Thinking, zack, zack, zack, alles klar, einsortiert, zurückzugehen ins Slow-Thinking, ins langsame Denken und zu sagen, Moment mal, werde ich der Situation, werde ich der Person jetzt gerade gerecht mit dieser Schublade oder muss ich Energie reinstecken, die Schublade bewusst aufzumachen, die Personen rauszuholen oder die Personen, die Gruppe, die ich vielleicht da reinsortiert habe, rauszuholen und mal ohne die Vorurteile zu betrachten. Ich glaube, das würde uns als Gesellschaft grundsätzlich ganz gut tun.

Theo
Naja. Da bewegen wir uns, eigentlich in Richtung gutes Schlusswort. Ja, danke dir für die Einordnung, Tobi. Hast du sonst noch irgendwas, was dir zum Thema gerade spontan einfällt? Nach meinem Gefühl haben wir die wichtigsten Aspekte eigentlich ganz gut eingefangen.

Tobias
Ich bin sehr gespannt, was die Zuhörer und Hörerinnen aus dieser Folge mitnehmen.

Theo
Ja, es ist irgendwie ein Thema, was, glaube ich, ganz viele kennen ist, aber es ist halt irgendwie trotzdem schwer greifbar. Und ich glaube, es ist auch total schwer, da im Alltag gegenzuwirken. Das Wesentliche ist halt tatsächlich Kommunikation. Miteinander reden und das möglichst empathisch, das ist tatsächlich, glaube ich, die Lösung. Und reflektieren. Mal in sich gehen und auch mal sich selbst reflektieren, wie man sich denn zu bestimmten Dingen verhält und warum man sich dazu so verhält, wie man sich verhält.

Tobias
Ja, das haben wir ja beleuchtet, das hat ja auch positive und wichtige Aspekte. Und im richtigen Moment dann zu sagen, ja Moment, jetzt mal tiefer drüber nachdenken, das ist die Kunst.

Theo
Und mit diesen weisen Worten, würde ich sagen, entlassen wir die Hörerinnen und Hörer. Vielen, vielen Dank, Tobi. In einem nachdenklichen Freitag, oder? In einem sehr nachdenklichen Freitag.

Tobias
in einem nachdenklichen Freitag. Ich bin sehr gespannt auf Feedback. Theo, vielen Dank für die Moderation und achso, du willst ja noch Tschüss sagen, ne?

Theo
Danke dir, Tobi. Ja, aber das Stichwort Feedback ist trotzdem total wichtig. Natürlich, liebe Hörerinnen und Hörer, wenn ihr in irgendeiner Form Feedback für uns habt oder Fragen, Wünsche, Anmerkungen, was auch immer, meldet euch via Twitter oder via Mail. Ihr findet alle Infos dazu natürlich wie immer in den Show Notes. Und dann bedanke ich mich nochmal bei dir, Tobi. Vielen Dank auch fürs Zuhören, die Zuhörerinnen und Zuhörer. Und dann freue ich mich auf die nächste Folge. Macht's gut. Bis dahin. Ciao, ciao.

Tobias
Danke Theo. Ciao.